3D-Druck: Stringing, Retraction, Trockenlagerung
Wir erinnern uns noch gut an unsere ersten Ausdrucke mit endlosen feinen Fäden zwischen den Teilen – klassische „Spinnweben“ aus PLA. Das sieht im ersten Moment harmlos aus, macht das Teil aber sofort weniger professionell. Gleichzeitig weiss man oft nicht, ob man an der Temperatur, an der Retraktion oder am Filament drehen soll. Genau solche Stringing-Probleme sehen wir in unserer Werkstatt bei 33d.ch fast täglich – und ja, das ist uns am Anfang auch passiert. In den folgenden Abschnitten zeigen wir euch anhand unserer Praxis, wie ihr solche Fäden Schritt für Schritt in den Griff bekommt.
Stringing gehört zu den häufigsten Themen in FDM-Druckkursen und Support-Mails, die wir von Hobby-Maker:innen, Schulen und KMU bekommen. Wer es ignoriert, verschenkt Druckzeit, muss mühsam Fäden entfernen und riskiert Fehler auf Funktionsflächen. Die gute Nachricht: Mit ein paar gezielten Tests zu Retraktion, Temperatur, Travel und Trockenlagerung des Filaments lässt sich das Problem in der Praxis meist sehr gut reduzieren – ohne gleich neue Hardware kaufen zu müssen.
Grundlagen Stringing
Ziel ist ein sauberer Ausdruck ohne feine Fäden zwischen einzelnen Druckteilen. Solche Fäden nennt man „Stringing“ oder auch „Oozing“ – das geschmolzene Filament tropft beim Reisen des Druckkopfs und zieht dünne Fäden zwischen bereits gedruckten Bereichen. In unserer Werkstatt sehen wir das besonders bei hohen, schlanken Teilen mit etwas Abstand zueinander. (Quelle)
Einsatzszenarien: Wenn euer Modell z. B. mehrere kleine, voneinander getrennte Türme hat oder wenn euer Druckkopf über offene Bereiche hinweg fährt – genau dann sieht man Stringing besonders gut.
Wichtige Fachbegriffe:
- Retract bzw. Retraktion = Rückzug des Filaments in der Düse, damit weniger Material beim Reisen austritt. (Quelle)
- Nozzle-Temperatur = Temperatur der Düse; zu hoch heißt Filament wird sehr flüssig → mehr Tropfenbildung. (Quelle)
- Filamentfeuchte = Filament hat Wasser gezogen und dampft beim Erhitzen → unkontrolliertes Austreten von Filament. (Quelle)
- Infill = vereinfacht gesagt das Innenleben des Teils; hohe Infill-Werte verlängern die Druckzeit, haben aber auf Stringing meist weniger Einfluss als Retraktion und Temperatur.
Vorbereitung zum Testen
Bevor ihr in den Einstellungen versinkt, lohnt sich eine kurze Checkliste. So verhindert ihr Fehlschlüsse wie „der Slicer ist schuld“, obwohl eigentlich nur die Düse verschmutzt oder das Bett krumm ist.
- Aktueller Slicer (z. B. Cura, PrusaSlicer oder ein ähnliches Tool) und ein einfacher Stringing-Test (mehrere kleine Türme mit Abstand).
- Drucker mechanisch in Ordnung: saubere Düse, korrekt eingestelltes Druckbett, Extruder kalibriert (Schrittweite, Vorschub).
- Das geplante Filament – idealerweise nicht komplett durchnässt aus der Werkstattluft, sondern trocken und einsatzbereit.
- Filamentlagerung im Blick: offene Spulen möglichst in einem trockenen Behälter oder in einer Box mit Silica-Gel aufbewahren.
Bei 33d.ch haben wir uns angewöhnt, Stringing-Tests immer mit demselben Referenzmodell zu fahren. So sehen wir auf einen Blick, ob sich wirklich etwas verbessert hat oder ob wir uns nur ein „besseres Gefühl“ einreden. Haltet für diese Tests kleine, klar definierte Parameterbereiche bereit – zum Beispiel Schritte von 5 °C bei der Temperatur oder 0.5–1 mm bei der Retraktion.
Schritt-für-Schritt-Anleitung
Im nächsten Schritt gehen wir die typischen Stellschrauben in einer sinnvollen Reihenfolge durch. Wenn ihr immer nur einen Parameter gleichzeitig verändert, seht ihr schnell, welche Änderung wirklich hilft – alles andere macht wenig Sinn und kostet nur Filament.
Schritt 1: Testdruck vorbereiten
Ziel: Eine Basis, auf der ihr Änderungen nachvollziehen könnt. Vorgehen: Wählt ein Modell mit separaten Inseln oder Türmen (z. B. fünf zylindrische Türme im Abstand von ca. 10 mm). Slice mit euren Standardwerten (z. B. Retraktion = 2 mm, Geschwindigkeit usw.). Druck starten und anschließend beurteilen: Tauchen feine Fäden zwischen den Inseln auf? Dann geht’s weiter. Erfolgskontrolle: keine spinnwebenartigen Fäden mehr sichtbar = guter Ansatz.

Quelle: china-gadgets.de
Verschiedene Stringing-Grade an Testobjekten, die zur Kalibrierung dienen.
Schritt 2: Retraktion einstellen
Ziel: Rückzug des Filaments beim Kopf-Reisen aktivieren und optimieren. Vorgehen:
- Prüft, ob „Retract“ aktiviert ist. Wenn nicht, aktivieren. (Quelle)
- Richtwert je nach Extruder-System: Direktantrieb (Direct Drive) startet z. B. bei 0.5-2 mm Retraktionslänge; Bowden-Systeme eher bei 4-7 mm. (Quelle)
- Retraktionsgeschwindigkeit: Start z. B. bei 25–40 mm/s. (Quelle)
Vorgehen: Startet mit euren Standardwerten, erhöht dann die Retraktionslänge in Schritten von +0.5–1 mm und testet erneut. Falls Filament-Unterextrusion oder Klappern im Extruder auftreten, geht wieder leicht zurück. Erfolgskontrolle: deutlich weniger oder gar keine Fäden mehr zwischen den Türmen.
In unserer Werkstatt hat sich bewährt, zuerst Retraktion zu optimieren, bevor wir exotische Slicer-Features aktivieren. Wer zu früh an dutzenden Spezialoptionen dreht, verliert schnell den Überblick, welche Einstellung nun wirklich geholfen hat.

Quelle: the3dprinterbee.com
Retraction-Einstellungen in der Ultimaker Cura Software.
Schritt 3: Drucktemperatur optimieren
Ziel: Temperatur so einstellen, dass Filament gut extrudiert, aber nicht übermäßig tropft. Vorgehen:
- Kennt den empfohlenen Temperaturbereich eures Filaments (z. B. PLA 190-210 °C). (Quelle)
- Beginnt im mittleren Bereich, dann senkt die Temperatur in 5 °C-Schritten. (Quelle)
Beispiel: Ihr druckt PLA bei 205 °C – senkt auf 200 °C → schaut nach Stringing. Noch Fäden? Vielleicht auf 195 °C. Achtung: Danach Layer-Haftung prüfen. Erfolgskontrolle: Keine Fäden mehr + stabile Schichten.
Schritt 4: Reisebewegung (Travel) und Slicer-Features nutzen
Ziel: Minimieren der Zeit, in der die Düse über offenen Raum reist und tropfen könnte. Vorgehen:
- Erhöht die Reisegeschwindigkeit (z. B. 150-200 mm/s je nach Maschine). (Quelle)
- Aktiviert „Combing“ bzw. „Avoid Crossing Perimeters“ – damit der Kopf möglichst innerhalb gedruckter Bereiche fährt und nicht über offene Lücken. (Quelle)
- Optional: Z-Hop (Düse hebt kurz beim Reisen) – kann helfen, aber manchmal Stringing verstärken, daher testen. (Quelle)
Erfolgskontrolle: Beim Testmodell wird deutlich, ob zwischen den Inseln keine oder nur minimale Fäden mehr gezogen werden.
Schritt 5: Filament-Qualität und Trockenlagerung
Ziel: Sicherstellen, dass das Filament nicht feucht oder von schlechter Qualität ist. Vorgehen:
- Wenn das Filament längere Zeit offen oder in feuchter Umgebung lag, dann trocknen: z. B. im Ofen bei 50-60 °C einige Stunden. (Quelle)
- Filament trocken in luftdichtem Behälter mit Silica-Gel lagern. (Quelle)
- Beobachtung: Beim Drucken hörbare Popgeräusche = Hinweis auf Feuchte. (Quelle)
Erfolgskontrolle: Nach Trocknen und Lagerung keine Stringing-Probleme mehr, bei sonst gleichen Einstellungen.
Bei 33d.ch hat sich eine simple Routine bewährt: Spulen, die länger offen herumstanden oder sichtbar „rauh“ extrudieren, wandern vor wichtigen Aufträgen zuerst in den Filamenttrockner. Das kostet ein paar Stunden, spart aber am Ende deutlich mehr Zeit als das Nacharbeiten von stark verstringten Teilen.
Wann sich neues Filament lohnt
Wenn trotz optimierter Retraktion, Temperatur und Reisebewegung noch deutlich Stringing auftritt, kann das Filament selbst schuld sein. Kriterien: Filament war schon lange offen oder feucht, mehrere Farben oder Spulen aus einer Charge zeigen dasselbe Problem oder das Material fühlt sich beim Extrudieren „kraus“ und ungleichmässig an. In solchen Fällen lohnt sich eine neue, qualitativ hochwertige Spule – insbesondere bei Materialien wie PETG, Nylon oder TPU, die feuchteempfindlicher sind. Stundenlang an Parametern zu drehen, während das Material sichtbar Wasser gezogen hat, macht wenig Sinn. (Quelle)
Quelle: YouTube
Dieses Video zeigt euch genau einen wichtigen Schritt beim Einstellen von Retraktion und gibt visuell gute Hinweise.
Häufige Probleme & Lösungen

Quelle: the3dprinterbee.com
Deutliches Stringing an einem 3D-gedruckten Würfelmodell.
Die folgenden Fehlerbilder begegnen uns bei 33d.ch am häufigsten, wenn Kund:innen mit „Spinnweben-Problemen“ vorbeikommen. Kurzfassung als Übersicht:
| Problem | Mögliche Ursache | Erste Massnahme |
|---|---|---|
| Starke Fäden zwischen Inseln | Retraktion zu gering, Düse zu heiss | Retraktion erhöhen, Temperatur in 5 °C-Schritten senken |
| Keine Fäden, aber Lücken im Bauteil | Retraktion zu hoch, Unterextrusion | Retraktion reduzieren, Extruder prüfen |
| Stringing nur bei einem Filament | Feuchte oder schwankende Qualität | Filament trocknen oder Hersteller wechseln |
| Plötzlich wieder Stringing | Düse teilweise verstopft oder verschlissen | Düse reinigen bzw. wechseln |
Fehler 1: Stringing trotz Retraktion aktiviert
Diagnose: Retraktionslänge oder-geschwindigkeit zu gering, Düse zu heiß, Reisebewegung zu langsam. Lösung: Retraktionsdistanz erhöhen, Geschwindigkeit erhöhen, Temperatur senken. Beispiel: Drucker mit Bowden-System hatte nur 2 mm Retraktion → bei 4 mm war Stringing deutlich reduziert.
Fehler 2: Unterextrusion nach Erhöhung der Retraktion
Diagnose: Retraktionsdistanz zu groß oder Filament schlecht vorgeschoben. Lösung: Retraktion schrittweise verringern (z. B. 1 mm weniger), Extruder kalibrieren. Anleitung: Direktantrieb meist <2 mm Retraktion. (Quelle)
Fehler 3: Stringing nur bei bestimmtem Material oder Farbe
Diagnose: Dieses Filament hat Feuchtigkeit oder schlechte Charge. Lösung: Filament trocknen oder ersetzen; andere Parameter als für Standard-PLA verwenden. (Quelle)
Fehler 4: Keine Verbesserung trotz Einstellungen
Diagnose: Düse ist verstopft oder stark abgenutzt, Filamentqualität extrem schlecht. Lösung: Düse reinigen oder wechseln; qualitatives Filament verwenden. (Quelle)
Material- und Hardware-Anpassungen
Für unterschiedliche Materialien gilt: PLA ist eher nachsichtig, temperaturmäßig im Bereich 190-210 °C; PETG ist kräftiger (z. B. 230-250 °C) und neigt stärker zu Stringing; TPU/Nylon benötigen zusätzliche Vorsicht (mehr Trocknung, teils längere Retraktion). (Quelle)
Wenn ihr eine Direct-Drive-Hardware habt, könnt ihr mit kürzeren Retraktionswerten arbeiten als bei Bowden-Systemen. Auch Slicer-Features wie „Coasting“, „Wipe“ oder „Early Retract“ können je nach System helfen. (Quelle)
In unseren Kundenprojekten hat sich gezeigt, dass schon ein Wechsel von einem langen Bowden-Setup auf einen Direct-Drive-Extruder die nötige Retraktionslänge deutlich reduzieren kann. Wer häufig technische Kleinserien druckt, spart damit nicht nur Fäden, sondern auch viel Zeit in der Kalibrierung.
Wer viele kleine Inseln druckt oder sehr feine Details hat, könnte „Minimum Travel Distance“ in Slicer-Einstellungen kleiner setzen, damit Retraktion auch bei kurzen Bewegungen greift. (Quelle)
Weiterführende Ressource: Weitere Slicer-Tutorials zur Stringing-Vermeidung (z. B. combing-Techniken).
FAQ: Häufige Fragen aus der Praxis
Hier sind Antworten auf häufig gestellte Fragen und eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse.
Frage: Warum habe ich nach Anpassung noch kleine Fäden?
Antwort: Kleine Fäden lassen sich oft nicht ganz vermeiden. Wenn Retraktion zu lang wird oder Temperatur zu niedrig ist, tritt eventuell Unterextrusion auf. Kleine Restfäden kann man mit einem Heissluft-Schlauch oder Pinsel entfernen, aber bessere Werte erzielt ihr meist über saubere Testreihen bei Retraktion und Temperatur. (Quelle)
Frage: Wird Stringing meine Druck-Festigkeit beeinflussen?
Antwort: In den meisten Fällen betrifft Stringing primär die Oberfläche und Optik. Mechanisch gesehen spielt es selten eine Rolle, aber optisch ist das unschön und kann Support-Entfernung erschweren.
Frage: Kann Reisegeschwindigkeit zu hoch eingestellt sein?
Antwort: Ja, wenn die Maschine durch hohe Geschwindigkeit Vibrationen oder Ungenauigkeiten bekommt. Dann kann es andere Fehler geben. Reisegeschwindigkeit sollte zum Drucker passen – viele Hersteller nennen ~150-200 mm/s als gute Größenordnung. (Quelle)
Frage: Muss ich jedes Mal Retraktion neu justieren, wenn ich neues Filament nutze?
Antwort: Nicht zwingend, aber bei neuem Material, anderer Farbe oder anderem Hersteller empfehlen wir einen kurzen Testdruck. Unterschiedliche Filamente reagieren unterschiedlich auf Retraktion und Temperatur.
Frage: Macht es Sinn, nur die Temperatur zu ändern statt Retraktion?
Antwort: Temperatur zu senken ist eine gute Maßnahme – aber oft reicht das allein nicht. Wenn die Retraktionslänge deutlich zu gering ist, bleibt das Problem bestehen. Retraktion + Temperatur + Reisebewegung zusammen optimieren bringt in der Praxis die besten Ergebnisse.
Mini-Fazit: Stringing dauerhaft im Griff behalten
- Druckt zunächst ein einfaches Stringing-Testmodell, bevor ihr wichtige Teile produziert.
- Startet mit sinnvollen Standardwerten für Retraktion und passt Länge sowie Geschwindigkeit in kleinen Schritten an.
- Senkt die Düsentemperatur in 5 °C-Schritten, bis Stringing deutlich abnimmt, ohne dass die Layerhaftung leidet.
- Nutzt Travel-Features wie hohe Reisegeschwindigkeit, Combing und optional Z-Hop, statt den Kopf langsam über freie Flächen tuckern zu lassen.
- Lagert Filament konsequent trocken – wenn alles andere passt und das Material trotzdem „patscht“ und Fäden zieht, lohnt sich ein getrocknetes oder neues Filament mehr als stundenlanges Feintuning.
In unserer Werkstatt haben wir für jedes Material ein kleines Kalibrier-Profil mit bewährten Stringing-Einstellungen. So müssen wir bei neuen Projekten nur noch fein nachjustieren, statt jedes Mal bei Null anzufangen.
Quelle: YouTube
Dieses zweite Video zeigt euch im Detail die Mechanik von Retraktion und wie Stringing entsteht – ideal zur Vertiefung, wenn ihr euch die Abläufe im Hotend besser vorstellen wollt.
Passt gut dazu
- 3D-Druck Toleranzen verstehen
- Filament richtig lagern und trocknen
- Die wichtigsten Slicer-Einstellungen für Einsteiger:innen
- Materialvergleich PLA, PETG, ABS und TPU im FDM-Druck
- Fehlerbilder im 3D-Druck systematisch analysieren
Viel Erfolg beim sauberen Drucken!